
"Hirschwirth 1773"
Die Anfänge unseres Familienunternehmens reichen weit zurück!
Der Urberacher Balthasar Hartmann (1744-1807), in den Kirchenbüchern benannt als"Scapinus et cuponus ad cervi", aus dem lateinischen übersetzt: "Schöffe und Wirt zum Hirschen", ehelichte im Jahre 1773 seine Frau Anna Katharina (1742-1818), eine geborene Barthel aus Langen. Dass sich der Wirt und "Schöffe", also eine respektable Amtsperson aus dem katholischen Häfnerdorf Urberach, eine "Lutherische" aus Langen zur Frau nahm, war für die damalige Zeit eher ungewöhnlich, zumal man unterschiedliche Landesherren hatte. Die Urberacher gehörten damals zur Grafschaft Isenburg-Phillippseich, die Langener zur Landgrafschaft Hessen-Darmstadt.

Deren Sohn Johannes Hartmann I. (1781-1853) heiratete 1804 Appollonia Hartig (1777-1843), eine geborene Jäger aus dem kurmainzischen Klein-Krotzenburg und übernahm nach dem Tod seines Vaters den "Hirschen" und die Schöffenwürde. In seine Zeit fielen die gesellschaftlichen Umwälzungen der napoleonischen Kriege, welche die Urberacher als isenburgische "Verbündete" der Franzosen erlebten. Alte Dokumente belegen eine Entschädigungszahlung für im "Hirschen" einquartierte fran-zösische Offiziere, die mit 730 Gulden fast vier Jahresgehältern eines damaligen Handwerksmeisters entsprach und fast die Hälfte der im Dorf Urberach an "Gastgeber" aus Napoleons Kriegskasse gezahlten Entschädigungen ausmachte!
Nach Napoleons Sturz verteilte der Wie-ner Kongress einen Großteil des mit dem Franzosenkaiser verbündeten Isenburger Fürstentums, wodurch Urberach an das Großherzogtum Hessen-Darmstadt fiel!
Die alte, gotische St. Galluskirche am Platz des heutigen Rathauses wurde we-gen Baufälligkeit abgerissen und in den Jahren 1821-1823 am jetzigen Standort, in unmittelbarer Nähe des "Hirschen" eine neue Kirche errichtet. Die klassizistische Turmkuppel wurde nach einem Brand durch Blitzschlag im Jahr 1856 durch den heute vorhandenen Spitzhelm ersetzt.

1845 heiratete der Metzger Georg Hartmann (1810-1871), Drittgeborener von Johannes' fünf Söhnen, Anna Maria Larem (1820-1897), eine Tochter des Eppertshäuser Bürgermeisters und wurde 1853 "Hirschwirth". Der zweitälteste Bruder Martin war von 1824-1827 "Schultheißenverwalter" und von 1843-1863 "Großherzoglicher Bürgermeister" in Urberach. Ferner führte er das "Gasthaus zur Traube" mit eigener Metzgerei, welche er an der damals neu durch das Dorf gezogenen, großherzoglichen Chaussee errichtet hatte. Nach Einheirat eines Seligenstädters wurde sie zur Metzgerei Schließmann.
Bei den Hirschwirths übernahm kurioserweise selten der älteste Sohn den Familienbetrieb und nach dem Tod von Georg Hartmann führte seine älteste Tochter Sophia (1849-1924) mit ihrer Mutter ab dem Jahr 1871 die Metzgerei sowie die Land- und Gastwirtschaft mit Apfelweinkelterei weiter. Der älteste Sohn, Johannes Hartmann III. entschied sich für eine Buchhalterkarriere im nahen Darmstadt.

1879 heiratete Sophia Hartmann den Metzger-meister Matthäus Knapp (1852-1889). Er ent-stammte einer alten Odenwälder Metzgerfamilie, welche zunächst über Ober-Roden eingewandert, später in Urberach das Nachbaranwesen des Bäckers Andreas Lang, bei der Kirche erworben hatte. Er adoptierte 1885 Sophias uneheliche Söhne Peter und Johannes, deren leiblicher Vater, ein Cousin von Matthäus, 1882 in die USA ausgewandert war! Nach dem frühen Tod des Stiefvaters wurde Peter Knapp, geb. Hartmann (1871-1926) im Jahr 1889, gerade 18-jährig, der neue "Hirschwirth" und führte mit Unterstützung seiner Mutter und Großmutter den Betrieb weiter.
Sein Bruder Johannes "Jean/John" Knapp (1876-1949) trat in die kaiserliche Kriegsmarine ein und diente als Obermatrose auf dem Panzerschiff "SMS Weissenburg", u.a.1900/01 während des Boxerauf-

standes im Chinesischen Meer. Nach einer Hafenkneipenschlägerei mit Todesfolge im Jahr 1905, setzte er sich von Wilhelmhaven aus, auf einem Schiff nach Südamerika ab und gelangte final über San Francisco nach Tacoma im U.S. Bundesstaat Washington. Dort gründete er eine Familie und arbeitete bis zu seinem Tod 1947 als Metzger. Sein jüngster Sohn Gerald hielt noch lange Jahre Briefkontakt. Das Wohnhaus in Tacoma wurde verkauft, existiert aber heute noch.

Nachdem 1910 in Urberach zwei jüdische Nachbarn des "Hirschwirths", die Metzgermeister Isaak und Max Strauss, konkurierende Cousins, jeweils zeitgleich neue, moderne Metzgereien errichtet hatten (der mit der Familie Knapp befreundete Max Strauss sogar direkt gegenüber des "Hirschwirths" in der Bahnhofstraße 10, auf dem Strauss'chen Stammanwesen), entschied sich auch Metzgermeister Peter Knapp für die zeitnahe Errichtung eines kom-pletten Neubaus. Noch 1910 stockte er Schlachthaus und Pferdestall auf, um während der geplanten Abriss- und Neubaumaßnahmen Behelfswohnräume für seine Familie zu haben. Der Betrieb sollte weiterlaufen und auch das Vieh musste durch die Familie weiterhin versorgt werden.


Das alte Haus wurde 1910 nochmals Motiv von Gruß-postkarten, die der "Hirsch-wirth" als Werbe- u. Kommu-nikationsmittel hatte drucken lassen. Links zum Gänseeck hin, sieht man bereits die aufgestockten Anbauten.
In dieser Sackgasse sammel-ten der Gänse- u. Schweine-hirt, mit dem Ruf von Pfeife und Horn jeden Morgen die Gänse und Schweine des Dorfes, um sie von dort zum Weiden auf die Rodau-Auen (heute Kaufland) zu führen.
An der linken Hausecke befand sich der Metzgerladen, zentral die Tür zur Gaststätte, links von dieser das "Kolleg" (ein separates Nebenzimmer) und rechts die Gaststube mit je zwei Fenstern zur Bahn-hofstraße und zum "Dalles" (Markt- und Kirchenvorplatz) hin. An der rechten Hausecke steht das aus-gespannte "Odenwälder Stuhlwägelchen" - der wendige, "historische Kleinlaster" des Hirschwirths!

Mit diesem, von Pferden gezogenen Fuhrwerk, fuhr der Hirschwirth Peter Knapp I., "De' åld Hersch" genannt, einst zweimal die Woche zum Frank-furter Schlachthof. Montags wurden dort frisch geschlachtete Schweine-hälften abgeholt und mittwochs, die
in Urberach weiterverarbeiteten Fleisch- und Wurst-waren an Frankfurter und Sachsenhäuser "Ebbelweu-wirtschaften" ausgeliefert. Der Fuhrknecht im rechten

Foto ist der junge Georg Groh (Ab den späten 1920-er Jahren in Knapp'schen Diensten). Die Kommunikation zwischen "Orwisch" und Frankfurt lief damals, ohne Handy, Telefon, Fax oder E-Mail nur über die "Deutsche Reichspost", meist mittels Postkarten, quasi die damalige SMS - nur mit etwas
längerer Empfangsdauer! In der unten stehenden, alten Postkarte vom 31.7.1900 erbittet Johann Simon, Gastwirt "Zur Stadt Nürnberg" in Frankfurt den "Hirschwirth" die zeitweise Aussetzung seiner

wohl regelmäßigen Liefer-ungen von Braten- und "Sol-berfleisch"(gepökeltem Stich, Schweinebauch und Leiter-chen). Wegen der damals sehr großen Sommerhitze hatte Herr Simon wohl Pro-bleme mit der Haltbarkeit. Nicht ohne Grund errichtete der Hirschwirth deshalb ei-nige Jahre später in seinem Hof ein erstes Kühlhaus! Das hierfür benötigte Eis wurde im späten Winter auf einem, extra zu diesem Zweck zwi-schen Rodau und Bulau an-gelegten, Eisweiher ausge-
gesägt und mit dem Pferdefuhrwerk zum "Hirschwirth'schen Eiskeller" gefahren. Diesen, teils unterirdischen Keller mit fast 1 m dicken Wänden und isolierenden Luftzwischenräumen hatte der Hirschwirth im großen Gemüsegarten der Familie Hartmann/Knapp, an der Jägerstraße (heute Haßwiesenstraße) mauern lassen. Die ausgesägten Eisblöcke wurden dort gestapelt und eingelagert.

Meist hielten sich die Eis-
blöcke bis in den Spät- sommer/Frühherbst. Von dort holte man die Eis-blöcke nach Bedarf und ließ sie im Hirschwirth'-schen Hof durch einen Einwurfschacht in den Keller unter dem neuen Kühlhaus rutschen.

Von dort aus strömte die abgekühlte Luft über ein Kanalsystem ins Kühlhaus und machte eine längere Lagerung von Fleisch- und Wurstwaren möglich. In späteren Jahren erhielt man maschinell erzeugtes Eis von der Brauerei Braunwarth aus Eppertshausen, von welcher der Hirschwirth auch sein Bier bezog. Man war über die Großmutter, eine geborene Larem, mit den Braunwarths entfernt verwandt. 1913 war es schließlich soweit und das "ålde Hersche'-Haus", der fränkische Fachwerkbau aus der Zeit des 30-jährigen Krie-ges, wurde abgebrochen und mit dem Neubau begonnen. Ein Jahr lang wohnte die Familie beengt in den beiden, bereits 1910 über dem Schlachthaus errichteten, zwei Stuben, bis man 1914 in das, nach Plä-
nen der "Großherzoglichen Landwirtschafts-kammer" errichtete, damals moderne Wohn- und Geschäftshaus mit Laden und Gaststätte einziehen konnte. Die alte Raumaufteilung des Vorgängergebäudes hatte man im Erd-geschoss in Teilen aufgegriffen - Küche, Metzgerladen und Gaststätte befanden sich wieder an gleicher Position. Lediglich das Kolleg/Nebenzimmer war von der Hausmitte an die Südfront, mit neuem Erker zum "Dalles" hin, verlegt worden! Das neue Ge-bäude war voll unterkellert und verfügte über einen Gewölbekeller für die Apfelwein- fässer....
Forstsetzung folgt...
